Die Covid-19 Pandemie hat schon unzählige Opfer gefordert. Nun kann man dieser Liste 17 Millionen dänische Nerze hinzufügen, die bis zum 16. November notgeschlachtet werden sollen. Grund dafür sind einige an dem Virus erkrankte Tiere und die Angst vor einem Infektionscluster in den Pelzfarmen (Reinhard Wolff, in: Taz, 2020). Manche Stimmen erheben sich kritisch, ob ein derartiges Risiko – ähnlich der Covid-19-Cluster in diversen Schlachtbetrieben – überhaupt eingegangen werden muss, oder ob der Mensch auch ohne Echt-Pelz und Bärchenwurst überleben kann. Die Kritik ist berechtigt, denn das Verhältnis zu unseren Mitlebewesen ist von Egozentrik und Ausbeutung geprägt. Schon den sprachlichen Unterschied zwischen Tieren und Menschen zu machen ist bezeichnend für ein Machtverhältnis, das letztendlich auch uns nicht gut tut.
Im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts angekommen, hat die Menschheit schon einiges in der Welt umgekrempelt. Manches davon ist genial, vieles ist aber völlig unverhältnismäßig und absurd. Zum Beispiel machen Nutztiere – den Meschen nicht mitgerechnet – 94% der an Land lebenden Säugetiere aus, nur 30% aller Vögel leben in freier Wildbahn, die restlichen 70% sind für die Fleisch- und Eierindustrie gezüchtetes Geflügel (Albert-Schweizer-Stiftung, 2018). Das sind rund 70 Milliarden Nutztiere, die in Schlachtbetrieben unter prekären Zuständen von den Menschen abgeschirmt leben und kurze Zeit später – durch den Fleischwolf gedreht und in den eigenen Darm zurückgepresst – abgepackt im Supermarktregal liegen. Viele von uns kaufen diese Produkte und empören sich wenige Momente später über das Hundefleischfestival in Yuiln (China), weil unser Empathie-Empfinden eben nur für unsere sogenannten Haustiere ausreicht und unser Speziesismus es uns erlaubt, diesen Unterschied zu machen. Nun besteht der breite Konsens, dass wir von diesem von Ausbeutung geprägten Mensch-Tier-Verhältnis profitieren, dass es sogar eine Notwendigkeit erfüllt, um den globalen Proteinbedarf zu decken. Außerdem werden wir von romantisierten Werbebildern abgelenkt, worin der naturverbundene Milchbauer seine Kühe in der illustren Morgensonne melkt und diese dann – befreit von der Euterlast – weiter über die Wiese laufen. Sie lenken uns von dem Eingeständnis ab, dass auch wir unter diesem Verhältnis leiden, und zwar nicht nur indirekt durch zerstörte Ökosysteme (und dieser Schaden ist massiv), sondern auch ganz direkt, wie wir nicht zuletzt an der Covid-19 Pandemie spüren.
„Die Pandemie, die wir erleben, ist ein Symptom der anthropogenen Ausbreitung auf diesem Planeten“
BSE (oder auch Rinderwahn), eine Zoonose die bei Menschen eine Variante der Creutzfeldt-Jakob Disease (vCJD) auslöst und nach einer sehr langen Inkubationszeit (bis zu 30 Jahren) zum Tod führen kann (vgl. Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen, 2020) forderte bereits zu Beginn des 21. Jahrhunderts europaweit 1.5 Millionen notgeschlachtete Rinder. Nach einem Vogelgrippe-Verdachtsfall in Niedersachsen 2014 mussten 31.000 Puten getötet werden. Die Schweinepest forderte in Rumänien 123.000 notgeschlachtete Schweine, nachdem sich die Seuche durch illegal importiertes Schweinefleisch rausch verbreitete (schweizerbauer.ch, 2018). In den USA infizierten sich kürzlich 10.000 Mitarbeiter in einem Schlachthof mit dem Covid-19 Virus, weshalb der Markt für Schweinefleisch zu kollabieren drohte (Heike Wipperfürth, unter: deutschlandfunk.de, 2020). Die Tiere, die aufgrund der Pandemie nicht geschlachtet wurden, konnten schließlich in einer „Sterbehilfe-Fabrik“ in Minnesota notgeschlachtet werden, die Kapazität reicht für 130.000 Tiere am Tag (ebd.) die geschlachtet und direkt entsorgt werden. Auch die eingangs erwähnten 17 Millionen dänischen Nerze müssen einem Systemfehler weichen, der das obsolete Dasein der Pelzindustrie markiert.
Die Pandemie, die wir erleben, ist ein Symptom der anthropogenen Ausbreitung auf diesem Planeten. Der WWF, die UN und WHO geben in einem neuen Bericht zu bedenken, dass Krankheiten wie Ebola, Aids oder Sars alle denselben Auslöser haben: Tierpopulationen stehen unter schweren Umweltbelastungen und sind aufgrund dessen weniger resilient gegenüber umweltbedingten Stressfaktoren (Damian Carrington, unter: www.theguardian.com). Der Bericht bestätigt: „The risk of a new [wildlife-to-human] disease emerging in the future is higher than ever, with the potential to wreak harvoc on health, economies and global security“ (ebd.). Ausbrüche von Infektionserkrankungen wie Covid-19 seien „manifestations of our dangerously unbalanced relationship with nature […] they illustrate that our own destructive behaviour towards nature is endangering our own health […]” (ebd.). Die Idee, unser Gesundheitssystem und unsere Wirtschaft zu retten, ohne dabei den Schutz der Umwelt und der Biodiversität zu forcieren, ist als wolle man ein volles Fass vorm Überlaufen bewahren, ohne den Wasserhahn abzudrehen. Nichts davon kann gewährleistet werden, wenn der Nährboden sukzessive unter unseren Füßen verödet. „The WWF report concludes that the key drivers for diseases that move from wild animals to humans are the destruction of nature, the intensification of agriculture and livestock production, as well as the trading and consumption of high-risk wildlife” (ebd.). 60-70% der neu aufkommenden Krankheiten seit 1990 kämen aus der Tierwelt (vgl. ebd.), was eine Neudefinition der Mensch-Tier-Beziehung umso relevanter macht.
„The key drivers for diseases that move from wild animals to humans are the destruction of nature, the intensification of agriculture and livestock production, as well as the trading and consumption of high-risk wildlife“ WWF Report, 2020
Große Teile der Erde sind durch menschliche Aneignung verändert, intensiviert, gentechnisch optimiert oder zerstört worden. Biodiversität wurde durch Hochleistungssaaten und Monokulturen, Wildtiere durch Nutztiere ersetzt, monetarisiert und für uns maximal nutzbar gemacht. Der Konkurrenzkampf um Lebensraum wird nicht nur für all jene zum Problem, die am falschen Ende dieser Ausbeutung stehen, sondern auch für uns – den mutmaßlichen Nutznießern. Die Pandemie ist Ausdruck einer zutiefst asymmetrischen Beziehung zu unserer Umwelt und den Lebewesen, mit denen wir sie teilen. Wenn wir künftigen Pandemien prophylaktisch entgegenwirken wollen, müssen wir einen nachhaltigen Umgang mit unseren Ressourcen finden und unsere Rolle als Teil eines großen Ökosystems begreifen. Ein Ökosystem, deren Protagonist nicht der autokratisch herrschende Homo Sapiens Sapiens ist, der sich die Welt untertan macht, sondern ein System mit fragilen und komplexen Zusammenhängen, über deren Wucht sich auch der Mensch nicht hinwegsetzen kann.
Von Olivia Leth
Quellen:
Albert Schweizer Stiftung, 2018: Jedes zweite Säugetier ist ein „Nutztier“. Unter: https://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/jedes-zweite-saeugetier-ist-ein-nutztier, abgerufen am 11.11.2020
Spiegel Online: 400.000 Rinder zur Schlachtbank. Unter: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bse-400-000-rinder-zur-schlachtbank-a-115338.html, abgerufen am 11.11.2020
Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen, 2020: BSE beim Tier und Variante der Creutzfeldt-Jakob Disease beim Menschen. Unter: https://www.blv.admin.ch/blv/de/home/tiere/tierseuchen/uebersicht-seuchen/alle-tierseuchen/bse-beim-tier-und-variante-creutzfeldt-jakob-disease-beim-menschen.html, abgerufen am 11.11.2020
Schweizer Bauer Online, 2018: 123‘000 Schweine notgeschlachtet, unter: https://www.schweizerbauer.ch/tiere/schweine/r-123000-schweine-notgeschlachtet/
Heike Wipperfürth, 2020: Notschlachtung für die Tonne. In: Deutschlandfunk, unter: https://www.deutschlandfunk.de/fleischbetriebe-in-den-usa-notschlachtungen-fuer-die-tonne.697.de.html?dram:article_id=476883, abgerufen am 11.11.2020
Damian Carrington, 2020: Pandemics result from destruction of nature, says UN and WHO. In: the Guardian, unter: https://www.theguardian.com/world/2020/jun/17/pandemics-destruction-nature-un-who-legislation-trade-green-recovery, abgerufen am 11.11.2020
Reinhard Wolff, 2020: Massenschlachtung von Nerzen wegen Corona: Mutationen breiten sich aus. in: Taz.de, unter: https://taz.de/Reinhard-Wolff/!a160/, abgerufen am 11.11.2020