Von Ohnmacht zu Wirkungsmacht: Wie wichtig sind Konsumentscheidungen?

Die Klimakrise klopft an unsere Haustüre. Wortwörtlich. In einem europaweiten Messerspiel aus Flut- und Brandkatastrophen werden lange angekündigte Extremwetterereignisse im Sommer 2021 fast schon auf plakative Art und Weise Wirklichkeit. Während Starkregen in Teilen Österreichs, Belgiens und insbesondere Deutschlands ein Jahrhunderthochwasser auslösen, brennen Wälder, Städte und ganze Inseln in Griechenland, der Türkei, in Russland, Sibirien, Kanada oder Afrika. In Sizilien wird ein europäischer Temperaturrekord von 48,8°C verzeichnet1, der Juli 2021 war der heißeste Monat seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 18802.

Es herrscht dringender Handlungsbedarf. Aber von wem? Von der Politik ist allzu schnell nichts Revolutionäres zu erwarten. Kanzler Kurz vertritt nach wie vor die durch keine anerkannte Studie gestützte These, die Klimakrise lasse sich allein durch technische Innovationen lösen und verteidigt den Bau weiterer Autobahnen mit allen Mitteln der Rhetorik3. Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordreinwestfalen und Kanzlerkandidat, will seine Politik nicht wegen eines Jahrhunderthochwassers ändern und fördert weiter fossile Großprojekte wie den Braunkohleabbau bis in das Jahr 20384.

Tausende Wissenschaftler:innen aus 150 Ländern rufen den Klimanotstand aus5, der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) veröffentlicht seinen Sixth Assessment Report aus dem ganz klar hervorgeht: Diese Krise ist menschgemacht. Und nicht zu handeln ist das teuerste das wir tun können. Die Flutkatastrophe in Deutschland verursachte einen Schaden von 13 Milliarden Euro, der Rettungsfond für die Flutopfer soll 30 Milliarden Euro umfassen6. Eine Summe, mit der laut Vereinter Nationen der Welthunger beendet werden könnte7. Die Expert:innen aus der Klimaforschung fordern „transformative Systemänderungen“, eine gesellschaftliche Transformation in allen Lebensbereichen.

Mit der Frage, aus welcher Richtung diese tiefgreifende sozial-ökologische Transformation kommen muss, beschäftigen sich viele Studien weltweit. In ihrer Komplexität ist die Klimakrise nicht einseitig lösbar, weder von einer einzigen Regierung noch von einem einzigen Wirtschaftssektor noch von dem grünen Konsumenten / der grünen Konsumentin an der Supermarktkasse. Das soll nicht heißen, dass Wirkungsmächte zwischen diesen Akteur:innen gleichmäßig verteilt sind: Manche halten Hebel in ihren Händen, die über Kohleausstieg, ökosoziale Steuerreform oder über den Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes entscheiden können. Anderen fällt schon wegen ihrer sozio-ökonomischen Ausgangslage der Umstieg auf plastikfreie Bio-Ware schwer. Trotzdem müssen wir uns für eine tiefgreifende Systemveränderung als Teil dieses Systems mitsamt unserer Wirkungsmacht begreifen, als Teil des Problems und als Teil der Lösung.

Wie relevant sind unsere Konsumentscheidungen?

Also fangen wir bei uns an. Das scheint auf dem ersten Blick ein Tropfen auf dem heißen Stein zu sein. Was richten schon die wenigen Kilogramm CO2 / Person / Jahr an, wenn ein einziges deutsches Kohlekraftwerk am Tag 50.000 Tonnen CO2 emittiert8? Da stellt sich bei vielen zurecht ein Gefühl der Ohnmacht ein. Genau deshalb ist es notwendig, die Einflussbereiche von uns allen zu beleuchten und uns allen vor Augen zu führen. Unsere Art zu konsumieren hat sich schließlich in einem kurzen Zeitraum weniger Jahrzehnte grundlegend verändert. Die veränderten Lebensumstände nach dem Zweiten Weltkrieg haben damals einen erheblichen Beitrag zur Erderwärmung geleistet und können vielleicht auch heute Wegweiser durch die Krise sein.

Denn die globalen Emissionen steigen weiter dramatisch an.  Die wichtigsten Treibhausgase – Kohlenstoffdioxid, Lachgas und Methan – kumulieren sich 2021 in der Atmosphäre zu neuen Rekordwerten (CO2-Konzentration 2021: 416 ppm) zusammen9, Kipppunkte kommen gefährlich nahe oder wurden bereits überschritten.

Für eine sozial-ökologische Transformation brauchen wir nicht zuletzt auch Veränderungswillen aus der Bevölkerung der reichsten Staaten der Welt. Die Konsequenzen unserer Art zu konsumieren und zu produzieren, zeigen sich schließlich überwiegend in anderen Ländern dieser Welt. Der österreichische Fußabdruck beispielsweise (alle direkten und indirekten Emissionen, die für die Herstellung unserer Konsumgüter v.a. im Ausland entstehen) ist um 40-50% höher als die Emissionen, die in Österreich direkt bei der Nutzung von Konsumgütern entstehen. Zum Beispiel sind die konsumbasierten Emissionen, die wir beim Fahren unserer PKWs im Inland ausstoßen, um die Hälfte geringer als die produktionsbedingten Emissionen im Ausland. Dazu gehören unter anderem die Extraktion und Verarbeitung von Rohöl, die Herstellung des Fahrzeugs oder Infrastrukturen10. Wie wichtig sind dann unsere privaten Konsumentscheidungen?

Möglichkeiten und Grenzen individueller Konsumentscheidungen

Aus einer Studie von Wiedenhofer et al. (2018) geht hervor, dass wir unseren Alltag in einer Matrix aus Zeit, Geld, physischen und sozialen Strukturen und gesellschaftlichen Normen bestreiten. Wer viel Zeit und Geld hat kann eher gegen alteingesessene Strukturen arbeiten, Alltagspraktiken ändern und so den eigenen Fußabdruck reduzieren als jemand, der*die nicht über diese Ressourcen verfügt11. Damit sind in unserer Gesellschaft die Verantwortlichkeiten und Möglichkeiten das individuelle Konsumverhalten zu ändern ungleich verteilt und liegen überwiegend bei den höherverdienenden Haushalten. Ein durchschnittlicher österreichischer Haushalt emittiert pro Jahr ca. 21,3 Tonnen CO2: Die Konsumentscheidungen, die diese Zahl am stärksten beeinflussen sind Wohnen und Energie (22%), Verkehr (20%) und Lebensmittel (16%)12. In einer Literaturanalyse13 von Ivanova et al. (2020) wurden verschiedene Studien, die sich mit individuellen Konsumentscheidungen befassen, untersucht. Die Autor:innen identifizierten insgesamt 60 Optionen, den eigenen Fußabdruck durch Konsumentscheidungen zu reduzieren.

Die wichtigsten Bereiche mit den höchsten Vermeidungspotentialen schildert Co-Autor der Studie, Dr. Dominik Wiedenhofer, in seinem Vortrag Klimakrise, Konsum und das tägliche Leben. Alle identifizierten Optionen / Aktivitäten haben einen Impact auf unseren individuellen Fußabdruck, wobei manche effektiver sind als andere. Auch innerhalb der Aktivitäten gibt es sogenannte Bandbreiten an Einsparungspotenzialen: Wer sich beispielsweise ein Elektroauto kauft, solle dieses mit Strom aus erneuerbaren Energien betreiben, ansonsten entstehen gleich viele oder sogar mehr Emissionen bei dessen Produktion und Nutzung, wie bei einem gewöhnlichen Verbrennungsmotor.

Auch die Literaturanalyse zeigt: Zu den effektivsten Bereichen, Emissionen im eigenen Konsumverhalten zu reduzieren, zählen Mobilität, Ernährung und Wohnen / Energie. Die effektivste Reduktion unseres ökologischen Fußabdrucks im Bereich der Mobilität bewirken das autofreie Leben, der Verzicht auf Langstreckenflüge, die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und der Wechsel zu Elektromobilität. Im Bereich der Ernährung kann der Fußabdruck im alltäglichen Leben am effektivsten durch eine rein pflanzliche Ernährung, durch weniger Lebensmittelabfälle bei besserer Lagerung und Verarbeitung oder durch eine vegetarische (also fleischlose) Ernährung reduziert werden. Auch hier werden deutlich mehr Optionen identifiziert, viele davon drehen sich um die fleischarme Ernährung. Die genannten drei sind allerdings diejenigen mit den höchsten Einsparungspotentialen. Im Bereich Wohnen und Energie birgt vor allem der Umstieg auf einen Ökostromanbieter das größte Einsparungspotential, gefolgt von guter Isolierung und energieeffizienter Sanierung von Gebäuden und dem Einsatz von Wärme-Pumpen. 


Das Auto zu verkaufen, sich vegan zu ernähren und zu einem Anbieter für Strom aus erneuerbaren Energien zu wechseln wäre also der effektivste Weg, den eigenen Beitrag zur Klimakrise zu reduzieren. Wer die Möglichkeiten dazu hat, ist aber sehr ungleich verteilt. Der grüne Konsument kann gar nicht die alleinige Verantwortung tragen, die Krise des Planeten an der Supermarktkasse zu lösen. Das wäre eine naive und eindimensionale Behauptung. Wir brauchen ein Zusammenspiel aus ambitionierter Klimapolitik und internationaler Kooperation, aus individuellen Beiträgen und einer gemeinwohl-orientierten Wirtschaft. Wir brauchen öffentlichen und politischen Druck und entsprechende Rahmenbedingungen, in denen alle Menschen klimafreundlich und gut zusammenleben können. Wir brauchen mutige und laute Menschen inmitten der Klimaproteste weltweit. Wir brauchen Umweltbildung an Schulen, um kommende Generationen auf die bevorstehenden Herausforderungen vorzubereiten und sie handlungsfähig zu machen. Der beste Weg aus der Machtlosigkeit ist die eigene Aktion. Egal ob wir solidarische Landwirtschaft unterstützen, den Stromanbieter wechseln oder Kohleinfrastruktur blockieren.

Quellen:

1: Collini, F. (14.08.2021): Das ist kein positiver Rekord, sondern ein Problem. In: Der Spiegel. URL: https://www.spiegel.de/ausland/hitzewelle-auf-sizilien-mit-48-8-grad-in-floridia-das-ist-kein-positiver-rekord-a-c5c497a7-bbb7-4a72-9ced-40c60237cd8a

2: US-Behörde: Juli war der heißeste Monat seit Beginn der Aufzeichnungen. (13.08.2021). Süddeutsche Zeitung. URL: https://www.sueddeutsche.de/wissen/juli-heiss-monat-1.5382310

3: Kontrast Redaktion (26.07.2021): Die Klimapolitik der Kurz-ÖVP nützt den Reichsten und widerspricht der Wissenschaft. In: Kontrast.at. URL: https://kontrast.at/kurz-steinzeit-klima/

4: Sabin, T. (16.07.2021): „Weil jetzt so ein Tag ist, ändert man nicht die Politik“. In: Der Tagesspiegel. URL: https://www.tagesspiegel.de/politik/laschet-laviert-in-der-klimafrage-weil-jetzt-so-ein-tag-ist-aendert-man-nicht-die-politik/27427218.html

5: Schwarz, S. (01.08.2021): 14.000 Forschende klagen. In: taz.de. URL: https://taz.de/Klimanotstand-ausgerufen/!5786296/

6: Banse, P. & Buermeyer, U. (Moderatoren). (2021, 08. August): IPCC-Bericht über Klimawandel, System Laschet, Laschets rechte Hand, BVerfG stützt Rundfunk, Grüne verschenken Stimmen, Impf-Anreize [Audio-Podcast]. In: Die Lage der Nation Folge 251. Minute 25:40. URL: https://lagedernation.org/

7: FAO, 2008: The world only needs 30 billion dollars a year to eradicate the scourge of hunger. URL: http://www.fao.org/NEWSROOM/en/news/2008/1000853/index.html

8: Sinachom (2021, 16. Januar): Mit Konsum das Klima retten? [Video]. YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=l4xML8C_lss

9: Schwarz, S. (01.08.2021): 14.000 Forschende klagen. In: taz.de. URL: https://taz.de/Klimanotstand-ausgerufen/!5786296/

10: Science For Future AT (2021, 2. Januar): Klimakrise, Konsum und das tägliche Leben von Dr. Dominik Wiedenhofer (Klimawoche JKU Sep. 2020). [Video]. YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=cyu2Di0IUAc&feature=youtu.be (ab Minute 09:37)

11: Wiedenhofer, D., et al. (2018): Household Time Use, Carbon Footprints, and Urban Form: A Review of the Potential Contributions of Everyday Living to the 1.5°C Climate Target. Current Opinion in Environmental Sustainability. URL: https://doi.org/1016/j.cosust.2018.02.007

12: Frascati, M. (2020): Klima-Ungerechtigkeit in Österreich. Greenpeace. URL:https://mobilitaet.greenpeace.at/assets/uploads/assets/uploads/GP_ReportKlimaungerechtigkeitAT.pdf?_ga=2.66265515.444927364.1630311011-3135718.1630311011 (Seite 5)

13: Ivanova, D. et al. (2020): Quantifying the Potential for Climate Change Mitigation of Consumption Options. IOT Publishing LTD. URL: https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/ab8589

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