Arbeit im digitalen Nomadentum: ein Gespräch über Grenzen und Generationskonflikte

Ein Artikel von Katharina Höppel und Olivia Leth für das BAM! Magazin

Vor zwei Stunden noch saß ich bei meiner Oma in Wien über einem Häferlkaffee. Der seit Jahrzehnten mit einer Plastikfolie überzogene Küchentisch und die seit meiner Kindheit überstrapazierten Plastikstrohhalme, die auch dieses Mal, nachdem ich meinen handgepressten Saft damit trinken durfte, gründlich gesäubert und zurück in den Schrank über mir verstaut wurden, verweigern sich der heutigen Wegwerfkultur. Generell schreit nichts in diesem Haus 21. Jahrhundert. Die braun-grauen Sofapolster nicht, die dicken Telefonbücher nicht, die kunstvoll gehäkelten Tischaufleger nicht. Wie aus einem Raumschiff steige ich in die für meine Oma unbegreifliche, mondlandschaftsartige Außenwelt, in einen Zug und fahre weiter. Neue Projekte, neue Orte – so funktioniert das eben. 

Meine Oma versteht meine Arbeit nicht. Ich gehe in kein Büro, ich habe keine Kernarbeitszeiten und auch keine Arbeitskolleg:innen. In Wahrheit findet meine Arbeit nur sehr spärlich in dieser für uns greifbaren, sichtbaren und fühlbaren Welt statt. Wer kein Endgerät hat, das meine Arbeit in einen Binärcode zerfallen lässt und am anderen Ende wieder geschickt zusammenbaut, kann meine Arbeit nicht konsumieren und nicht verstehen. So ganz verstehe ich den Algorithmus selbst nicht, der über meinen Erfolg zu bestimmen scheint. Die meisten Adjektive, die meine Arbeit beschreiben sind englisch. Will ich meiner Oma also meine Arbeit erklären, muss ich erst mal Begrifflichkeiten wie remote, online oder digital (für eine 97-Jährige auf Deutsch und Englisch gleichermaßen nichtssagend) umschreiben und dann geben wir meistens beide relativ schnell auf. Wir haben uns sehr lieb, aber wir kommen von unterschiedlichen Planeten.

Ich lebe zwar nicht auf einem anderen Planeten, aber sechs Stunden hinterher auf einem anderen Kontinent. I love you too und ich bin froh, dass wir wie auf einem digitalen Stammtisch über solche Artikel die gleichen Schwierigkeiten zu lösen versuchen. Seit Jahren wünschen mir alle einen schönen Urlaub, nur weil ich wieder wegfahre und das frustriert, denn ich habe vergessen, wie das geht. Es hat mich geärgert zu erfahren, dass zu urlauben ein Menschenrecht sein soll, denn ich mache diese Unterteilung zwischen Arbeit und Freizeit nicht. Diese Einteilung entspricht dem klassischen Büro-Setting das du beschreibst – ein Arbeitsmodell das viele gut einordnen können, das aber der heutigen Arbeitswelt immer weniger entspricht. Es frustriert, weil die Arbeit unter dem Deckmantel einer scheinbar dem Urlaub dienenden Reise unsichtbar gemacht wird. Und es ist harte Arbeit. Sich wieder auf den Weg zu machen und sich eben dem nächsten Projekt nicht nur für Stunden, sondern manchmal Tage, oder Monate an einem anderen Ort zu widmen ist eben Teil davon.

Das ist oft sehr schmerzlich, aber vielleicht einfach ein Symptom unserer Zeit. Die Welt ist offen, physisch und von Zuhause aus – im historischen Vergleich ist das selbst in Zeiten wie diesen so. Wir sind eine Generation von Inspirierten, getrieben durch all die offenen Türen zu gehen. Immer auf dem Sprung zur Selbstverwirklichung. So habe auch ich mir eine Nische gesucht von der aus ich die anderen Sinnsuchenden mit Projekten zu begeistern versuche, während diejenigen, die dieser Sinnsuche nie eine solche Wichtigkeit beigemessen haben, wahrscheinlich die Augen in die Hinterköpfe rollen. In meiner – übrigens auch für diese Generation symptomatischen – Aversion mich festzulegen, schlägt meine Berufstätigkeit einstweilen Austriebe in ungeahnte Richtungen und Dimensionen. Zeitlich, räumlich, medial. Gerade schreibe ich im Zug, es könnte aber genauso gut ein Café sein, mein altes Kinderzimmer in Wien, ein Bahnhof oder meine Wohnung in den Niederlanden. Drei Uhr nachts oder vierzehn Uhr. Ein Film oder ein Stück Text.

Festgelegt habe ich mich nur auf das Ziel internationale Künstlerin zu sein. Was dabei alles als Kunst gewertet wird, lasse ich mir gerne offen. Mit einer ungebrochenen Begeisterung für kulturelle Vielfalt und bunte Landschaften war es mir nie genug diese nur in Dokumentationen über den Bildschirm zu sehen. Jetzt sehe ich dafür die Gesichter meiner Vergangenheit und Freunde, die mir ans Herz gewachsen sind, nur noch darüber. Alles im Leben hat vielleicht seine Zeit und die Idee, dass die ganze Welt mein zu Hause ist inspirierte mich damals wie heute, obwohl vieles auch schmerzlich, oder vielleicht einfach neu ist.

Grenzenlos in alle Richtungen, das beschreibt das digitale Nomadentum für mich ganz gut.  Viele von uns sind mit eifrigen, aufopferungsbereiten Erwachsenen großgeworden. Für die Familie, für ein System von dem man auch irgendwann profitieren soll, für Vater Staat. Die schweißtreibende Arbeit wurde nur fünf kurze Wochen im Jahr unterbrochen, in denen man in nicht weit entlegene Bade- oder Wanderorte fuhr, um der Erschöpfung der vergangenen Monate zu erliegen. Nun sind wir alle selbst erwachsen geworden und sehnen uns nach Lebensentwürfen, die unsere Individualität und unsere Idee von Freiheit huldigen.

Die Generationen vor uns bezeichnen diesen Lebensentwurf gerne als Hedonismus und wir selbst lachen ja auch in unserer Dokumentation über diese moderne Form des Idealismus. Immer zufrieden, nur nach dem streben, das fröhlich macht. Selbstfürsorge wird dabei im Verständnis dieser Generation oft als Narzissmus abgetan, als Eigensinn. Vehement und oft ohne Kompromissbereitschaft den eigenen Ideen hinterher zu laufen und diese dabei ständig in der Hosentasche mit sich mitzutragen, mag eigensinnig sein. Es ist ein anderes Verständnis von Arbeitsaufopferung, die zum gleichen Wohlbefinden führen kann, aber wie, das weiß ich auch nicht. Übrig bleibt für unsere Elterngeneration ein Bild von Kindern, die nie erwachsen werden wollten. Dabei wenden wir uns lediglich Mutter Natur zu, anstatt Vater Staat – ein Zuhause ohne Grenzen.

Nur wer hätte gedacht, dass ein räumlich und zeitlich entgrenztes Arbeitsleben auch die persönlichen Grenzen nicht achtet? Über Länder- und Belastungsgrenzen hinweg schleicht sich die Arbeit in jede Faser unseres Privatlebens. Die permanente Identifikation mit unserer Arbeit hat zu der Verwirtschaftlichung unserer Leidenschaften geführt. Anders als unsere Eltern geben wir uns nicht nur der Arbeit hin, wir sind unsere Arbeit. Überspitzt formuliert knechtet uns kein Wirtschaftssystem mehr, sondern unsere Selbstverwirklichungsfantasien.

Und was ist so schlimm daran? Es liegt an uns eine Balance zwischen Wachstum und Freiheit zu finden. Respektvoll mit dem eigenen Leben und dem der anderen, mit eigenen Grenzen und denen von Mutter Natur umzugehen. Selbstverwirklichung darf ruhig der Wirklichkeit und damit den eigenen Grenzen entsprechen.

Ich liebe ja auch meine Arbeit. Ihre digitale Natur schafft unvorstellbare Möglichkeiten, Flexibilität, spannende Kooperationen und ermöglicht geografische Willkür. Alles das ich brauche hat in einem Rucksack Platz, Inspirationen liegen auf der Straße rum. Manchmal stolpere ich über so viele gleichzeitig, dass ich sie menschenunmöglich alle in Projekten aufgreifen kann. Wer soll da jemals fünf Wochen im Jahr Urlaub machen?

Meine Oma hat mir heute zum Abschied gesagt, sie würde sich wünschen in wäre sesshafter. Es wäre gelogen zu behaupten, dass ich mir das nicht auch manchmal wünsche. Sesshaft zu sein ist für mich eine emotionale und physische Seligkeit, für die man aber auch bereit sein muss. Vielleicht irgendwann, wenn der schwindelerregende Rausch endloser Möglichkeiten abflaut, bin ich bereit keine Nomadin mehr zu sein. Bis dahin bestaune ich die Welt mit allem was ich habe und freue mich darüber, dass sie keine Grenzen zu mir zieht.

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